Future Remnants of What Has Been — Essen, 2020
Unser kollektives Gedächtnis ist geprägt von der Art und Weise, wie Geschichte dokumentiert, aufbewahrt, gesammelt und uns im Jetzt präsentiert wird. Egal ob technischer Fortschritt, neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder ein moralischer oder gesellschaftlicher Wandel, all diese Faktoren und noch weitere werfen ein neues Licht auf die uns noch nahe oder etwas weiter entfernte Geschichte und machen diese auf eine neue Art erfahrbar. Vielleicht beeinflusst also nicht nur die Vergangenheit unsere aktuellen Lebensrealitäten, sondern unsere Gegenwart ebenso wie wir Vergangenem begegnen und Gewesenes erfahren?
Durch fotografische Inszenierung, Zugabe von dokumentarischen Materialien und Rekontextualisierung gliedert sich vermeintlich Belangloses in einen ganz bestimmten Bilderkanon ein. Eine entsprechende Ästhetik und bestimmte Bildmotive unterstützen die Legitimation sowie Verortung des fotografischen Materials in einem archäologischen und wissenschaftlichen Kontext. Es eröffnet sich ein fiktiver Möglichkeitsraum in welchem sich reale und irreale Versatzstücke aufeinander schichten und innerhalb einer Reihe von Erwartungen platziert werden. Ein Großteil der gezeigten Strukturen und Räume fehlen oder sind entleert. Diese Leerstellen werden durch die Vorstellungskraft der rezipierenden Person gefüllt und innerhalb deren Grenzen wieder hergestellt. Diese spürbare gegenwärtige Abwesenheit lädt zur Betrachtung ihrer Vergangenheit ein, wodurch sich die Fotografien zu so etwas wie einem elegischen Bühnenbild wandeln, vor welchem sich archäologische Utopien entfalten können. Die Sicht ist bewusst verzerrt. Ein Nebeneinander von dystopischen und ursprünglichen Szenen, von historischen und fiktiven Elementen. Zukünftige Überreste des Gewesenen, welche sich in der Gegenwart auflösen.
Die Arbeit setzt sich aus eigenen Fotografien, welche sowohl digital als auch analog entstanden sind, skulptural und archaisch anmutende Papier-Collagen aus gefundenen Buchseiten, Screenshots von 3D-Modellen diverser archäologischer Fundstücke und Grabungsstätten sowie gefundenen Bildern aus älterer Fachliteratur und Büchern.
Aus einer letzten Datenbank der Natur
(Ein autopoietisches System erzählt…)
— Text von Isabelle Castera
Auf der Suche nach den Resten des Sichtbaren
vergewissern wir uns über die Spuren der Zeit,
bevor alles um uns herum verschwunden ist.¹
Die Gesteinsschichten murmeln in Zwischentönen²,
raue Oberflächen absorbieren ein Echo im Raum,
bevor alles um uns herum verschwunden ist.
Wuchernde Fotosynthesen aus Reproduktionen
überlagern sich zu neuen Sinnzusammenhängen,
bevor alles um uns herum verschwunden ist.
Poröse Erinnerungen an eine materielle Welt,
gesammelt in einer letzten Datenbank der Natur³,
bevor alles um uns herum verschwunden ist.
Unablässig füllen wir Lücken mit Informationen,
gießen Inhalte in die Gefäße der Gedächtnisse,
bevor alles um uns herum verschwunden ist.
An Bruchstellen im Asphalt öffnen sich die Poren,
ein Riss zieht die Grenzen unserer Vorstellbarkeit,
bevor alles um uns herum verschwunden ist.
Wir sind die Entscheidung für eine Möglichkeit,
Ahnungen gehalten in einem Schwebezustand,
bevor alles um uns herum verschwunden ist.
¹ In Anlehnung an: Baudrillard, Jean: Warum ist nicht alles verschwunden?, Berlin 2018.
² Inspiriert von: Foucault, Michel: Archäologie des Wissens, Frankfurt am Main 1997, S. 43.
³ Vgl.: Holmes, Oliver Wendell: Das Stereoskop und der Stereograph. In: Wolfgang Kemp (Hg.): Theorie der
³ Fotografie, Band 1, München 2006, S. 120.
Future Remnants of What Has Been — STOPOVER im UG des Museum Folkwang in Essen, 2021
Future Remnants of What Has Been — On Display. Der Körper der Fotografie, Kunstmuseum Ahlen, 2022
Future Remnants of What Has Been — Reclaim Award 2021, Köln-Ehrenfeld, Köln, 2021